Zwischen Frust und Freiheit

Medienwissenschaftler Prof. Dr. Matzner über Privatsph?re in der digitalen Welt

Vor vier Jahren einigten sich die EU und die USA auf die Privacy-Shield-Vereinbarung. Gestern wurde sie vom Europ?ischen Gerichtshof für unrechtm??ig erkl?rt. Daten aus Europa dürfen künftig nicht ohne eine genaue Prüfung des Datenschutzniveaus in die USA übertragen werden. Das Urteil wirft somit erneut Fragen zum grunds?tzlichen Umgang mit privaten Daten auf. Welche Rolle Privatsph?re in der heutigen Gesellschaft besitzt, warum ihr Schutz in der digitalen Welt frustrierend sein kann und was sich deswegen ?ndern muss, erkl?rt Prof. Dr. Tobias Matzner, Medienwissenschaftler an der Universit?t Paderborn.

Wohnung, Familie, Freizeit und Freundschaften – traditionell verbinden Menschen damit ihre Privatsph?re. Das sei allerdings nicht die Realit?t, sagt Matzner: ?Diese Vorstellung von Privatsph?re passt nicht mehr und hat auch nie so richtig gepasst. Die Gefahr, die von digitalen Medien für das Private ausgeht, ist nicht nur eine Verletzung dieses engen Bereichs. 365足彩投注_365体育投注@ besteht darin, dass Informationen von einem Kontext in einen anderen gelangen. Wenn ich etwa mit Bekannten entspannt im Park sitze, gehe ich nicht davon aus, dass meine Arbeitskollegen erfahren was da passiert und falls doch, w?re das unangenehm.“ Eine zeitgen?ssische Vorstellung des Privaten beziehe sich laut Matzner somit nicht auf einen bestimmten Bereich, sondern auf das Verh?ltnis unterschiedlicher Bereiche des Lebens, wozu etwa Arbeit, Freizeit oder Familie geh?ren: ?Das Leben in unserer Gesellschaft besteht darin, dass wir an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Personen sein k?nnen – ja sogar müssen. Wird diese Trennung durch digitale Medien eingerissen, dann nehmen wir das als Bedrohung unserer Privatsph?re wahr“.

Rollentrennung als gesellschaftliche Vorgabe

Vergangene Woche haben Politiker*innen verst?rkt Kritik an dem polnischen Start-up PimEyes geübt, das in seiner Suchmaschine Gesichtserkennung verwendet. Die Technologie steht derzeit jedem offen, um anhand eines Fotos eine fremde Person zu identifizieren. Für den Paderborner Wissenschaftler ist diese Suchmaschine beispielgebend für das Grundproblem, unterschiedliche Bereiche unseres Lebens auseinanderzuhalten. Ihm selbst habe gerade auch das digitale Semester nochmal gezeigt, wie wichtig diese Trennung sei: ?Wenn ich mit meinen Studierenden digital in unseren privaten Zimmern verbunden bin, ist die Atmosph?re gleich ganz anders als in einem H?rsaal. Im H?rsaal bin ich nur in meiner Rolle als Professor oder Student. Unsere Gesellschaft erm?glicht nicht nur, sondern verlangt, dass wir diese Rollen trennen. Verlasse ich in einer Vorlesung meine Rolle als Professor, gilt das als unangebracht. Diese Grundfunktion der Gesellschaft rei?en Suchmaschinen wie PimEyes ein.“ So sei auch der Slogan ?Start protecting your privacy“, mit dem das Start-up wirbt, vor dem Hintergrund zynisch, da Internetnutzer viel zu wenig M?glichkeiten h?tten, um gegen die Ver?ffentlichung ihrer Bilder vorzugehen.

?berforderung durch individuelle Kontrolle

In Deutschland sei die Aufmerksamkeit für das Thema Datenschutz jedenfalls hoch, wie Matzner feststellt. Das habe beispielsweise die Debatte um die Corona-Warn-App gezeigt. Hier wurde deutlich, dass es m?glich ist, sehr datensparsam Programme zu schreiben, die vermeintlich viele Daten ben?tigen. Gleichzeitig gebe es aber immer noch viele Unternehmen, die gegen existierende Regeln der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) versto?en würden, wie das gestrige Urteil des Europ?ischen Gerichtshofs deutlich macht. Unternehmen, die künstliche Intelligenz verwenden, würden es Nutzer*innen von digitalen Medien erschweren, Kontrolle über ihre Daten zu haben: ?Selbst wenn ich bestimmte Daten von mir nicht preisgebe, genügt es, wenn dies andere Menschen tun, die mir in irgendeiner Weise ?hnlich sind. Künstliche Intelligenz ist sehr gut in Mustererkennung. 365足彩投注_365体育投注@ kann ?hnlichkeiten bemerken und über mich urteilen, auch wenn keine einzige Information über mich in das Modell eingegangen ist, das dazu verwendet wird. Verlassen wir uns auf individuelle Kontrolle, wird damit jede und jeder überfordert. Daher braucht es hier auch perspektivisch mehr politische Regulierung, sonst wird Privatheit von einem Freiheitsrecht zu einer frustrierenden Daueraufgabe.“

Wanderung von Informationen unterbinden

Sind Offline-Dienste also der einzige Ausweg? ?In manchen F?llen sind sie es. Gerade für Menschen, die sich im Internet mit vielf?ltigen Anfeindungen konfrontiert sehen, ist das leider die einzige M?glichkeit“, so Matzner. Das Grundproblem sei jedoch keinesfalls auf die blo?e Existenz digitaler Technologien zurückzuführen, wie der Medienwissenschaftler betont: ?Viele Online-Angebote sind natürlich eine tolle Sache. Der Umstand, dass sie mit gro?en Gefahren für die Privatheit einhergehen, ist aber nicht zwingend. Das Problem ist nicht, dass wir neue Technologien nutzen, sondern, dass die Daten selten in den Kontexten bleiben in denen sie erhoben und für immer mehr Funktionen erhoben werden. Nun k?nnte man natürlich fordern, dass Menschen das wissen müssten und diese Funktionen nicht mehr nutzen. Man k?nnte aber auch verlangen, dass dieses Wandern von Informationen aufh?rt.“

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