Pu­bli­ka­ti­on in Fach­zeit­schrift Na­ture: Im Bruch­teil ei­ner Se­kun­de

Einer Gruppe um die Paderborner Materialphysiker Prof. Dr. Wolf Gero Schmidt und Andreas Lücke ist gemeinsam mit Kollegen aus Duisburg ein Experiment mit h?chstem Seltenheitswert geglückt: Die Beobachtung eines sogenannten ?ultraschnellen Phasenübergangs“ und dessen Simulation am Computer. Solche ?berg?nge finden statt, wenn etwa – stark vereinfacht – Eis zu Wasser wird. Konkrete Anwendung finden die Ergebnisse beispielsweise bei intelligenten Werkstoffen, die eigenst?ndig auf sich ver?ndernde Bedingungen oder Umgebungen reagieren. Damit haben es die Wissenschaftler nun auch in die renommierte Fachzeitschrift ?Nature“ geschafft.

Schnelle Phasenüberg?nge im Experiment   

Phasenüberg?nge sind ?nderungen der Eigenschaften von Materialien, die beispielsweise bei Temperatur- und Druck?nderungen auftreten. Dazu geh?ren unter anderem der Fest-flüssig-?bergang von Eis zu Wasser oder wenn Materialien von einem Isolator zu einem elektrischen Leiter werden. Wie schnell solche Phasenüberg?nge stattfinden k?nnen, erl?utert Wolf Gero Schmidt: ?Ein Beispiel: Beim Laserschmelzen des Metalls Wismut scheinen die atomaren Struktur?nderungen der Oberfl?che denen im Inneren der Probe zeitverz?gert zu folgen.“ Ob die Geschwindigkeit von Phasenüberg?ngen von der Geometrie und Dimensionalit?t der Probe abh?ngt, wollten die Wissenschaftler der Universit?ten Paderborn und Duisburg-Essen durch ein aufw?ndiges Experiment kl?ren. Dazu wurden atomarskalige Indium-Nanodr?hte – genauer gesagt Leiterbahnen mit einer Breite von vier Atomen und einer H?he von einem Atom – auf einer Siliziumoberfl?che pr?pariert. Diese Dr?hte sind bei Raumtemperatur metallisch. Werden sie jedoch unter -150 °C abgekühlt, ordnen sich die Indium-Atome um, die Elektronen frieren in einer sogenannten Ladungsdichtewelle ein und die Dr?hte werden nichtmetallisch. Die optische Anregung der tiefgekühlten Indium-Dr?hte durch einen Laserpuls schmilzt die elektronische Ladungsdichtewelle und ?ndert die atomare Struktur wieder zur metallischen Raumtemperaturphase.
 

Das Millionstel einer Milliardstel Sekunde

?Physiker Tim Frigge von der Uni Duisburg konnte nachweisen, dass sich dieser Phasenübergang bei geeigneter optischer Anregung in weniger als 350 Femtosekunden vollzieht“, sagt Schmidt und erg?nzt: ?Das ist nur ein Bruchteil der Schwingungsdauer charakteristischer Eigenschwingungen der Atome in den Dr?hten und Gr??enordnungen schneller als die thermische Erw?rmung der Probe.“ Zur Verdeutlichung: Eine Femtosekunde ist das Millionstel einer Milliardstel Sekunde, in 350 Femtosekunden legt Licht eine Strecke von lediglich einem Zehntel Millimeter zurück. Physiker sprechen in diesem Zusammenhang vom Phasenübergang im Quantenlimit – schneller kann dieser nicht ablaufen.

Supercomputerressourcen

Was ist die Ursache dieses schnellen Phasenübergangs und welche Rolle spielt dabei die Verankerung der Dr?hte auf der Siliziumoberfl?che? Zur Beantwortung dieser Fragen simulierte der Paderborner Materialphysiker Andreas Lücke den Phasenübergang am Computer. Die quantenmechanische Berechnung vieler hundert optisch angeregter Elektronen im komplexen Zusammenspiel mit der Dynamik der Indium- und Siliziumatome erfordert Supercomputerressourcen, die durch das Paderborn Center for Parallel Computing (PC?) der Universit?t Paderborn und das H?chstleistungsrechenzentrum Stuttgart zur Verfügung gestellt wurden. Dazu Schmidt: ?Die Rechnungen zeigen, dass der ultraschnelle Phasenübergang durch eine optisch induzierte Umverteilung der Elektronen in genau den chemischen Bindungen ausgel?st wird, die besonders stark durch spezielle Eigenschwingungen der Indium-Dr?hte, sogenannte Peierls-Moden, deformiert werden. Diese Moden beschreiben die strukturelle ?nderung der Dr?hte beim Einfrieren und Schmelzen der Ladungsdichtewelle.“

Bereits w?hrend des Phasenübergangs wird überschüssige kinetische Energie abgeführt, sodass nur genau ein einziger Isolator-Metall-?bergang stattfindet. Die Verankerung der Dr?hte auf dem Substrat erm?glicht die gezielte Modifikation seiner Geschwindigkeit. Das er?ffnet neue Anwendungsperspektiven von Phasenüberg?ngen in smarten Materialien oder Nanostrukturen, beispielsweise für ultraschnelle optoelektronische Schalter.

Foto (Universit?t Paderborn): Das Forscherteam aus Paderborn (v. l.): Dr. Uwe Gerstmann, Jun. Prof. Dr. Simone Sanna, Dr. Andreas Lücke und Prof. Dr. Wolf Gero Schmidt.
Foto (Universit?t Paderborn): Das Forscherteam aus Paderborn (v. l.): Dr. Uwe Gerstmann, Jun. Prof. Dr. Simone Sanna, Dr. Andreas Lücke und Prof. Dr. Wolf Gero Schmidt.
Foto (Universit?t Paderborn): Das Forscherteam aus Paderborn (v. l.): Dr. Uwe Gerstmann, Jun. Prof. Dr. Simone Sanna, Dr. Andreas Lücke und Prof. Dr. Wolf Gero Schmidt.
Foto (Universit?t Paderborn): Das Forscherteam aus Paderborn (v. l.): Dr. Uwe Gerstmann, Jun. Prof. Dr. Simone Sanna, Dr. Andreas Lücke und Prof. Dr. Wolf Gero Schmidt.
Foto (Universit?t Paderborn): Prof. Dr. Wolf Gero Schmidt.
Foto (Universit?t Paderborn): Prof. Dr. Wolf Gero Schmidt.
Grafik (Universit?t Paderborn, Andreas Lücke): Schematische Darstellung des optisch getriebenen Phasenübergangs der Indium-Ketten auf dem Siliziumsubstrat.
Grafik (Universit?t Paderborn, Andreas Lücke): Schematische Darstellung des optisch getriebenen Phasenübergangs der Indium-Ketten auf dem Siliziumsubstrat.