Neue Editionspraxis soll quellenkritische Auseinandersetzung mit Popmusik erm?glichen

Prof. Dr. Rebecca Grotjahn erh?lt Forschungspreis der Universit?t Paderborn

Editionen sind die Grundlage jeder wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Musik. Bis heute gibt es allerdings keine Editionen von Popmusik. Das Problem: Musikeditionen sind bisher ausschlie?lich Noteneditionen. Popmusik ist jedoch eine sogenannte ?phonographische“ Musik, das hei?t, sie wird nicht wie klassische Musik auf Notenpapier komponiert, sondern in Audiodaten. Würde man Popmusik in Notenschrift übertragen, ginge dabei genau das verloren, was diese ausmacht: der Sound. ?Popmusik wurde wissenschaftlich lange nicht ernst genommen“, sagt Prof. Dr. Rebecca Grotjahn, Professorin am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universit?t Paderborn und der Hochschule für Musik Detmold. Um das zu ?ndern, will sie eine neue Editionspraxis entwickeln, die die Edition von Popmusik im auditiven Medium erm?glicht. Für ihr Vorhaben mit dem Titel ?Edition phonographischer Musik“ erh?lt Grotjahn den diesj?hrigen mit 150.000 Euro dotierten Forschungspreis der Universit?t Paderborn.

Mit der Auszeichnung f?rdert die Hochschulleitung vision?re Ideen, gewagte Hypothesen, unkonventionelle Technologien und innovative Methoden, abseits des Mainstreams. Besonders au?ergew?hnliche Forschungsvorhaben sollen mit dem h?chstdotierten Preis, den die Universit?t Paderborn vergibt, eine Realisierungschance erhalten. Erstmalig geht der Forschungspreis, seitdem er 2017 ein neues Format erhielt, an eine Kulturwissenschaftlerin.

Herausforderungen bei der Edition von Popmusik

Um im auditiven Medium edieren zu k?nnen, müssen die Tonaufnahmen Gegenstand der Edition sein, nicht wie bisher üblich die Notentexte. Das, so die Musikwissenschaftlerin, sei aus zwei Gründen nicht einfach: ?Erstens geben die gro?en Plattenfirmen ihre Aufnahmen nicht einfach heraus – die Gebühren würden den Rahmen jedes Drittmittelprojekts sprengen. Und zweitens lassen sich im auditiven Medium nicht ohne weiteres Informationen zu beispielsweise Quellen, Versionsunterschieden und Entstehungsschichten anbringen – also genau das, was eine Edition zu einer wissenschaftlichen Edition macht.“ Grotjahns Idee, um beide Probleme zu l?sen: Nicht der phonographische Text selbst wird ediert, sondern ein Metatext, der die philologisch relevanten Informationen über den Text enth?lt.

Metatext-Edition und App zur einfachen Anwendung

Um den Metatext zu erstellen, werden Grotjahn zufolge Audio-Objekte, wie die Single- und Albumversion eines Stücks, in visuelle Daten umgewandelt. Durch Synchronisationspunkte werden die codierten Objekte aufeinander beziehbar und Metadaten der Objekte sowie Ergebnisse des Quellenvergleichs lassen sich annotieren. Der so erstellte Metatext soll letztendlich in einer App verfügbar gemacht werden. Nutzer*innen k?nnen Audiodateien, die sie auf dem eigenen Computer haben, auf diese Weise unkompliziert in die App laden. ?Die App erkennt die Dateien und verknüpft sie mit dem zentral und online abrufbaren Metatext, sodass die Nutzer*innen beim Abspielen der Audiodateien parallel Zugriff auf die Informationen in den Annotationen haben“, erkl?rt die Wissenschaftlerin. ?Die Editions-App erm?glicht also eine quellenkritische Auseinandersetzung mit Popmusik, ohne dass die Audio-Objekte selbst ediert werden.“

?Quantensprung für die Musikedition“

In dem Forschungsprojekt will Grotjahn mit ihrem Team die methodischen und technischen Grundlagen für diese neue Editionspraxis schaffen. ?Das Projekt beschreitet Wege, die verschiedene Forschungsbereiche sowie musikalisches Praxiswissen zusammenführen und noch nie begangen wurden“, erkl?rt sie. In der eher traditionell ausgerichteten Musikphilologie sei schon der Einbezug von popul?rer Musik eine kleine Revolution: ?Der Prototyp der Editionsplattform wird daher einem Quantensprung sowohl für die Musikedition als auch für die Erforschung phonographischer Musik gleichkommen“, so Grotjahn weiter. Durch den forschungsstarken Profilbereich ?Digital Humanities“ und die einzigartige Kooperation mit der Hochschule für Musik Detmold sei die Universit?t Paderborn der ideale Ort für eine solche innovative musikbezogene Forschung, betont die Wissenschaftlerin.

Zusammenspiel von Musikwissenschaft, Informatik, Akustik und musikalischem Praxiswissen

Ziel des Forschungsprojekts ist es, eine Philologie phonographischer Musik zu generieren. Dafür werden Methoden und Kompetenzen aus verschiedenen Disziplinen beziehungsweise Teildisziplinen gebündelt und auf das Forschungsfeld ?phonographische Musik“ übertragen. Dazu geh?ren neben der klassischen – notentextbezogenen – Editionsphilologie auch die digitale Musikedition, die Musikinformatik und die musikalische Akustik. ?Besonders wichtig für das Projekt ist au?erdem die geplante Zusammenarbeit mit einer Detmolder Band, die s?mtliche Materialien eines von ihr produzierten Stücks rechtefrei zur Verfügung stellt“, erkl?rt die Wissenschaftlerin. Au?erdem sei geplant, das musikalische Praxiswissen zur Produktion phonographischer Musik durch u. a. Expert*innen-Interviews mit Bandmitgliedern und Studiomitarbeiter*innen zu erschlie?en. Grotjahn: ?Der dadurch m?gliche vertiefte Einblick in die Produktionsprozesse bildet die Grundlage, um Methoden und Standards der Quellenforschung zu entwickeln.“

Popmusikforschung soll ausgebaut werden

?Editionsphilologie ist nicht nur das Verfügbarmachen von Objekten für die Forschung. 365足彩投注_365体育投注@ ist ihrerseits eine Forschungsmethode, die Einblicke in kreative Prozesse, künstlerische und ?sthetische Strukturen und Aspekte der Kommunikation von Künstler*innen und Konsument*innen zul?sst“, betont die Musikwissenschaftlerin. Laut Grotjahn verspreche daher eine Philologie phonographischer Musik einen erheblichen Erkenntnisgewinn für die Erforschung der popul?ren Musik.

Foto (Universit?t Paderborn): Symbolbild: Um im auditiven Medium edieren zu k?nnen, müssen Tonaufnahmen Gegenstand der Edition sein, nicht wie bisher üblich Notentexte.
Foto (HfM Detmold/Plettenberg): Prof. Dr. Rebecca Grotjahn, Professorin für Musikwissenschaft mit dem Schwerpunkt ?Genderforschung – Musik von Frauen“ am Musikwissenschaftlichen Seminar Detmold/Paderborn, erh?lt den diesj?hrigen Forschungspreis der Universit?t Paderborn.

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