Die Evolution von komplexen Textmustern: Entwicklung und Anwendung eines korpuslinguistischen Analyseverfahrens zur Erfassung der Mehrdimensionalit?t des Textmusterwandels

Die Erfahrung, dass Kommunikationsformen und Textsorten sich wandeln, ist heute allgegenw?rtig: Kaum jemand schreibt heute noch einen Privatbrief und nutzt die über Jahrhunderte tradierten Briefmuster, stattdessen erlauben uns unterschiedliche soziale Medien, unsere Lebenswelten mit unterschiedlichen Gruppen im privaten, halb?ffentlichen oder ?ffentlichen Raum zu teilen – mit gravierenden Auswirkungen auf die interpersonelle Kommunikation. Auch das Textsortenspektrum der ?ffentlichen, politischen, werblichen und selbst der religi?sen Kommunikation wird erheblich umgestaltet. 

Da Textmuster mit der Entstehung und Entwicklung kommunikativer Aufgaben verbunden sind und sich für letztere konventionelle L?sungen mit entsprechenden sprachlichen Formen etablieren, liegt es nahe, grunds?tzlich nach der Ver?nderung kommunikativer Aufgaben zu fragen. Diese sind sehr vielf?ltig und umfassen etwa die Wissensvermittlung, die politische Positionierung, die religi?se Ausrichtung oder die Herstellung sozialer Identit?t. Die Faktoren, die in Wechselwirkung mit der Entwicklung von Textmustern stehen, sind beispielsweise die Nutzung neuer Medien oder Codes sowie die Herausbildung neuer sozialer Stile oder neuer wissenschaftlicher Paradigmen.

Im Projekt soll die Entwicklung von zwei Textgruppen, der Erbauungsliteratur und der Pressetextsorten, im diachronen L?ngsschnitt gezeigt werden. Im Besonderen wird die Entwicklung von erbaulichen Textsorten im Zeitraum von 1600 bis 1800 und der Pressetextsorten im 19. und 20. Jahrhundert betrachtet. Grundlage bilden zwei Korpora, die das Deutsche Textarchiv (DTA) erg?nzen werden (s. Korpora). Methodisch werden die St?rken der automatischen Textanalyse, einschlie?lich der entsprechenden korpuslinguistischen Tools, mit denen der manuellen Annotation und qualitativen Interpretation statistischer Ergebnisse verbunden und ein Standardworkflow für die historische Textsortenanalyse aufgebaut (s. quantitative und qualitative Methoden). Damit sollen einerseits Textsortenmerkmale und deren musterhafte Kombinationen ermittelt werden, andererseits soll ein erheblich erweitertes Beschreibungsvokabular für den Textmusterwandel auf der Basis komplexer Textsorten gewonnen werden und so eine genaue Einsch?tzung der die Textmuster pr?genden Faktoren m?glich werden.